Freitag, 12. Mai 2017

Gedanken zum Ölmalkurs im Zeicheninstitut der Uni Tübingen

Es ist etwas besonderes für mich, mit den jungen Studentinnen und Studenten im Zeicheninstitut zu arbeiten. Der Ölmalkurs des laufenden Semesters ist wiederum gut besucht und es gibt einige Teilnehmerinnen aus dem letzten und vorletzten Semester, die auch diesmal wieder dabei sind. Es ist schön zu erleben, wie vertieft alle während der drei Stunden in die Arbeit mit dem Bild sind, wie ernsthaft und konzentriert, bemüht etwas Gutes zustande zu bringen.

Ich versuche, die Malerei betreffende Inhalte zu vermitteln, weiß aber, dass so ein Kurs einfach auch mal nur zum Abschalten und Ausspannen dienen darf.

In der Wahl des Themas beschränke ich mich auf Stillleben. Es ist etwas Verbindliches darin und alle malerischen Probleme lassen sich hieran abhandeln. Manchen mag es zu wenig spektakulär erscheinen. Spätestens nach dem ersten begonnenen, und im Ergebnis meist wenig befriedigenden Bild wird klar, dass es nicht so sehr auf das Motiv ankommt, als auf die Fähigkeit mit Pinsel, Farbe und Papier, aus dem Gegenüber etwas machen zu können.

Die größte Schwierigkeit liegt allerdings darin, das Risiko des Scheiterns zu begrüßen. In allen meinen Kursen ist dies oft die Hürde, die genommen werden muss, bevor es anfängt Spaß zu machen. Ich kann dazu nur Hilfestellung leisten, die Verantwortung des Springens muss jeder selbst übernehmen. 

Und genau da beginnt für mich ein wesentlicher Nebenaspekt der künstlerischen Betätigung, dass sie nämlich unbedingt zur Persönlichkeitsbildung beiträgt! 

Wer nur alles richtig machen will, wird nie aus eingefahrenen Bahnen, aus der sog. Komfortzone herausfinden und die Bereicherung, vielleicht auch positive Irritation erfahren können, die unvorhergesehene Ergebnisse bieten. Da sehe ich eine direkte Übereinstimmung mit den Erfahrungen, die auf viele andere Lebensbereiche übertragbar sind. Allein die Tatsache, dass jeder Pinselstrich eine Entscheidung bedeutet, die geleistet werden muss, ist eine große Herausforderung, wird die Ansicht doch sofort überprüfbar. Insofern sehe ich die Ausübung von künstlerischen Tätigkeiten als eine unverzichtbare Kulturtechnik an. Aber vielleicht ist dies im heutigen Schul- und Bildungsbetrieb nicht mehr von Bedeutung.

Im Gegenteil, werden diese "Sekundärfähigkeiten" in unserer auf Gewinnmaximierung ausgelegten Gesellschaft möglicherweise als veraltet und verzichtbar angesehen, es sei denn, es lässt sich z. B. auf dem Kunstmarkt, Geld damit machen. Der Gewinn auf dem inneren Konto ist nicht dagegen nicht messbar. 

Gilt das Funktionieren und Ertragbringen inzwischen tatsächlich als erstrebenswerter Lebenszweck? Können Zeiten der Muse, wenn überhaupt, nur noch im Urlaub erlebt werden? Selbst ich muss mich immer wieder darauf aufmerksam machen, dass Zeiten ohne Planung, Zweck und Ziel, einen unverzichtbaren Teil meines Lebens bedeuten. Manche halten diesen ergebnisoffenen Zustand möglicherweise schon gar nicht mehr aus, da gibt es dann nur noch Funktionieren oder Erschöpfung. 

Die Frage ist, wem nützt es? Und, muss ich da wirklich mitmachen?


Zufällig fand ich nun gerade die Ankündigung einer Radiosendung auf Deutschlandfunk Kultur gefunden, die ganz gut zu meinem kleinen Lamento passt:

Aarhus - Kulturhauptstadt 2017Die Sendung "Europa in der Wikingerstadt" auf Deutschlandfunk Kultur, vom 06.05.17, 
kann über diesen Link noch nachgehört werden.
Darunter:Das Projekt "Kein Mensch ist eine Insel - Die satanischen Verse"

























Ausstellung "No man is an island - The satanic verses" in ARoS, 2016/2017. 
(Deutschlandradio / Harald Brandt)


Erlend Hoyersten wundert sich, dass die Aufdeckung weltweiter Korruptionsmechanismen auf höchster Ebene, die durch die Panama Papers 2016 ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurden, so schnell wieder aus dem Bewusstsein verschwunden ist. Er glaubt, dass vielen Regierungen das Überangebot an wahren oder falschen Informationen durchaus genehm ist, weil es dazu beiträgt, die Fähigkeit zu kritischer Reflexion einzuschränken. Eine Ausstellung wie "Kein Mensch ist eine Insel - Die satanischen Verse", die im AroS stattfindet, ist für ihn wie ein "mentales Fitnessstudio". Ein Raum, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und neue Perspektiven zu entwickeln. "Für monochromatisches Denken - im politischen oder im religiösen Bereich - ist die Kunst gefährlich. Das konnte man im Dritten Reich sehen, in der Sowjetunion und jetzt vielleicht auch bei Trump. Literatur und Kunst sind gefährlich. Warum? Weil Kunst eine Einladung ist, anders zu denken. Das hat etwas mit dem innersten Wesen des Menschen zu tun, deshalb brauchen wir Kunst in einer Gesellschaft. Um die Fähigkeit zu bewahren, in verschiedenen Perspektiven zu denken und zu sehen."

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